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Christopher Isherwood: Leb wohl, Berlin (1939). Hoffmann und Campe 2014, 272 S., 20 €.

Isherwood weist zwar in seinem Vorwort darauf hin, dass es sich in Leb wohl, Berlin nicht rein um autobiographisches Material handelt. Dennoch: Isherwood schreibt über seine Zeit in Berlin der 1930er Jahre, als er als angehender Schriftsteller die Stadt als eine libertäre, brodelnde und vor allem schwulenfreundliche Stadt erlebte.

Der Roman beleuchtet in 6 kurzen Geschichten das kosmopolitische und dekadente Berlin der endenden Weimarer Republik und schafft (um George Orwell zu zitieren) das brilliante Porträt einer untergehenden Gesellschaft.”

Während der Protagonist Isherwood (Herr Issiwu”) zwischen reichen Grunewalder Villen und Kreuzberger Mietskasernen pendelt, erfährt er eine Stadt, deren Bewohner entweder sehr reich oder arm sind, deren Künstler und Freigeister nervös in heruntergekommenen Kneipen an ihren Zigaretten ziehen und nicht wissen wohin mit sich. (Isherwoods Lieblingsbar war übrigens das Cosy Corner in der Zossener Straße.) Er selbst als Müßiggänger und Flaneur hört zu, bewertet allerdings nie. So stellt er in den ersten Zeilen fest:

„Ich bin eine Kamera mit offenem Verschluss, ganz passiv, ich nehme auf, ich denke nicht. Ich nehme den Mann auf, der sich gegenüber im Fenster rasiert, und die Frau im Kimono, die sich die Haare wäscht. Eines Abends muss das alles entwickelt werden, sorgfältig abgezogen, fixiert.“

Da ist zum Beispiel seine Freundin Sally Bowles. (Berühmt und berüchtigt wurde diese Figur 1972 in dem Film Cabaret.) Eine 19-jährige Möchtegern-Schauspielerin und Lebefrau, die in ihrer Dekadenz und Exzentrizität wahrscheinlich für Isherwood die Künstlerseele par excellence darstellt.  

Während Isherwood anfangs in den Porträts der Berliner schelmisch und liebevoll über deutsche Eigenarten schreibt, verdüstert sich der Roman mit dem Aufkeimen der Nationalsozialismus schlagartig. Brutalität, Rohheit und Angst beherrschen das Straßenbild, Juden werden auf offener Straße zusammengeschlagen und erste Fluchtwellen erfassen die Stadt.

„Die Sonne scheint und Hitler herrscht über die Stadt. Die Sonne scheint, und Dutzende meiner Freunde – meine Schüler aus den Arbeiterkursen, die Männer und Frauen, die ich aus der Internationalen Arbeiterhilfe kenne – sind im Gefängnis, womöglich tot.“

Die Time hat Leb wohl, Berlin zu den 100 besten englischsprachigen Romanen erkoren. Vielleicht auch, weil man diesen Roman auf mehreren Ebenen lesen kann: als einen schwulen Roman (durch die damalige Zensur reichten hier Andeutungen), als Berlin-Roman und als atmosphärisches Zeitdokument einer untergegangen Epoche.

Laura  Rupp