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Der Roman Die Schöne des Herrn (erstmals 1968 in Frankreich erschienen) handelt von der Langeweile und dem Überdruss der Liebe.

Genf der 30er Jahre: Ariane, eine protestantische Narzisstin aus einem alten Geschlecht und Angehörige der Oberschicht, hat es nicht leicht. In einer langweiligen und deprimierenden Ehe mit einem Mitarbeiter des Völkerbundes (ein „Generalhanswurst“) verbringt sie ihre Tage mit Klavierspielen und Baden. Sie verliebt sich in den schönen – ihrem Mann höher stehenden – stellvertretenden Generalsekretär des Völkerbundes Solal und hat endlich Inhalt in ihrem Leben. Eine rauschhafte Affäre beginnt. Als Ariane ihren Mann verlässt, und der jüdische Solal aus antisemitischen Gründen aus dem Dienst entlassen wird, fliehen die beiden nach Südfrankreich. Dort leben sie weltfremd und einsam, werden sich bald überdrüssig und verlieren ihre Leidenschaft. Der Leser nimmt Teil an dem Liebesglück, dem Überschwang der Gefühle, aber auch an der Kehrseite einer Liebe, die durch Eifersucht und Entfremdung schließlich an sich selbst erstickt.

Der 900-Seiten starke Roman lässt sich nicht so leicht greifen. Neben der Liebesgeschichte erschafft Cohen eine wahnwitzige sozialkritische Satire. Das staubtrockene Bürokratendasein einer eitlen Elite wird mit viel schwarzen Humor in ein Affentheater verwandelt: Da sitzen die hohen selbstverliebten Beamten, die sich wichtig klingender, aber sinnfreier Worthülsen bedienen und selbstgefällig nichts machen. Mit viel Komik beschreibt Cohen das pavianhafte Dominanzverhalten von Männern in Politik und Sexualität.

Vor dem Palais des Nations angekommen, genoss er [Arianes Ehemann] den Anblick. Er hob den Kopf und atmete tief durch die Nasenlöcher ein, denn er liebte die Macht und sein hohes Gehalt. Beamter, ja, er war Beamter, Donnerwetter […] Ja, der Generalsekretär des Völkerbundes verdiente mehr als Beethoven, Haydn, Schubert und Mozart zusammen. Dieser Völkerbund war weiß Gott eine Institution! Das stellte doch etwas dar.“

Sprachlich erinnert sein Meisterwerk an Joyce, sein scharfer psychologischer Blick in die Abgründe menschlichen Daseins an Dostojewski. Die Vielfalt selbständiger und unvermischter Stimmen der Protagonisten, sowie die unterschiedlichsten Stile und Atmosphären lassen jedoch Cohens Werk schlecht einordnen. Michael Kleeberg fasst es treffend zusammen:

[Es gibt] absolut nichts, was dieser Künstler sich scheuen würde auszudrücken, keine Regung des Menschlichen, der er mit Schweigen oder Auslassungen begegnen würde. Seine Sprachpalette ist unerschöpflich: höchstes Pathos und schwärzeste Komik, mit Salomonis Hohelied konkurrierender lyrischer Überschwang und derbste Alltagssprache, Elegie und Kracher, Erhabenheit und Zynismus – all das fließt ineinander, übereinander, beißt sich, harmoniert, steigert sich – ich kenne keinen größeren Sprachzauberer als ihn.“

Cohen schreibt sehr scharf über das Absurde des menschlichen Daseins, in dem es eigentlich nur um Sex und Macht geht. Ein Roman mit großen Kontrasten und viel Sarkasmus, der zurecht als einer der wichtigsten französischen Romane des 20. Jahrhunderts gilt.

Laura Rupp

Albert Cohen: Die Schöne des Herrn, Klett-Cotta 2014, 891 S., 24,95 €.