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Daniel Schreiber: Nüchtern. Über das Trinken und das Glück, Hanser 2014, 160 S., 16,90 €.

Alkohol umgibt uns überall und er ist aus der abendländischen Rauschkultur nicht mehr wegzudenken. In den letzten Jahren sind viele Bücher zu diesem Thema erschienen. Mit einem Augenzwinkern hat beispielsweise der Feuilletonist Peter Richter in „Über das Trinken“ (Goldmann 2011) das Recht auf Rausch und Entspannung eingefordert, während Sandy Fawkes in „Ernährungsgrundlagen für leidenschaftliche Trinker“ (Metrolit 2013) Wege aufzeigt, wie man mit der richtigen Ernährung am besten den Kater am nächsten Morgen umgehen kann. Die Lektüren sind erheiternd und teilweise mit ihrer gehobenen Albernheit skurril. Probleme, die für manche Menschen verstärkter Alkoholgenuss, bzw. -missbrauch mit sich bringt, werden weitgehend ausgeklammert.

Für den Journalisten Daniel Schreiber war bzw. ist Alkohol ein Problem, denn er ist alkoholabhängig und hat den Sprung in die Nüchternheit geschafft. Sein Buch kann als Gegenrede zu den genannten Publikationen genannt werden.

Die Krankheit zu bändigen, nüchtern zu bleiben und das Leben ohne die Sucht zu genießen, ist das Thema des Buches. Verblüffend ist dabei die lebensphilosophische Tiefendimension, denn Schreiber schreibt nicht nur über Sucht, Abstürze und innere Stärke in der Manier von Wie-werde-ich-trocken-Ratgeber. Er geht viel weiter und behandelt die Frage, wie man mit sich selbst zufrieden sein und ein erfülltes Leben führen kann. Neben Schreibers eigener Suchtgeschichte erfährt der Leser zudem wissenswerte neurobiologische Fakten und Statistiken. Ein besonderes soziologisches Augenmerk legt Schreiber auf die Beziehung zwischen Arbeit und Alkohol:

Auf berufliche und finanzielle Ängste, auf wachsende soziale Ungleichheit und Befürchtungen des sozialen Scheiterns, auf zu hoch geschossene eigene Erwartungen mit dem Griff zum Glas zu reagieren könnte nicht normaler sein. In gewisser Hinsicht ist dieses Verhaltensmuster sogar eine der Stützen unserer Gesellschaft. Er gehört zum Schmieröl, das die Kapitalismus-Maschine am Laufen hält und uns ihr Knirschen immer wieder überhören lässt. Das Trinken ist die einzige vollumfänglich anerkannte Abschaltstrategie der Stressgesellschaft unserer Tage und als solche wird es auch aufs Bitterste verteidigt.“

Viele Menschen benutzen Alkohol als Ausgleich zu ihrem Arbeitsleben und belügen sich dabei stetig selbst: „Abhängigkeit ist eine Krankheit, die einem sagt, dass man sie nicht hat. Einem selbst und allen anderen“, wobei Abhängigkeit „eine fehlangepasste Form des Lernens“ ist.

Die meisten Menschen wissen nichts über ihre Krankheit. Nur durch radikale Selbstreflexion der eigenen Gewohnheiten, so Schreiber, kann der Kreislauf von Selbstbetrug und wiederkehrender Scham durchbrochen werden.

Das Buch ist deswegen nicht nur für Menschen mit Süchten lesenswert, sondern auch für die, die in ihrem Leben etwas verändern und neue Wege beschreiten wollen.